Sollten wir besser den Verstand verlieren für das gute Leben?

Zugegeben: Ein wenig provokant soll diese Frage schon sein. Doch wir finden sogleich Anknüpfungspunkte und Beispiele. Was heißt hier „verlieren“? Geht es nur darum, dass wir durch eine Krankheit oder ein kritisches Lebensereignis nicht mehr unseren Verstand wie sonst nutzen können? In diesem Fall macht das „Sollten“ jedoch keine Sinn.

Eine Frage nach dem Sollen macht nur Sinn, wenn wir unseren Verstand uneingeschränkt nutzen können.

Möglicherweise ist dann „verlieren“ nicht das geeignete Wort. Eher: „abschalten“, wenn wir zum Beispiel Alkohol trinken oder Schokolade essen oder Drogen konsumieren. Oder auch „loslassen“, wie in der Meditation oder im Flow-Erleben beim Sport oder in der Kreativität. Hier kann mensch ohne Verstand – oder zumindest mit nur einem bestimmten Teil des Verstandes – besondere Erfahrungen machen.

Der Verstand kann für bestimmte Formen des Erlebens hinderlich sein.

So ist denn auch die Aufzählung von Beispielen, was wir denn ohne den Verstand – oder mit ausgeschaltetem Verstand – erst so richtig vermögen, recht lang: Lieben zum Beispiel in jeglicher Form, glücklich sein sicher auch in einem tieferen emotionalen Sinn, ein Bild malen, Freundschaften schließen und verlieren, Sexualität mit Sicherheit geht am Besten ohne Verstand.

Vieles im Leben gelingt uns erst so richtig gut, wenn wir den Verstand zumindest begrenzen.

Sollten wir also den Verstand gleich ganz verlieren? Nein ist die häufigste Antwort, denn den Verstand auf eine gute Art zu gebrauchen, ist hilfreich auch dabei, ihn zeitweise zu verlieren. Gut vorbereitet gelingt die romantische Verabredung. Farben und Leinwand braucht es für ein Bild. Meditation kann gelehrt werden. Auch Geld ist hilfreich für einen Ausflug ins Ungewisse.

Und mit Verstand können wir gut vorbereitet den Verstand loslassen.

Wir wissen um die Rückwege. Wir können zurück kehren zum Alltäglichen. Funktionieren ist kein Makel. Dafür haben wir unseren Verstand.

Nur der Buddha bleibt schließlich im vollendeten Loslassen.

Wie frei können wir sein in unseren Beziehungen?

Sonderausgabe! Gänsehaut beim Live-Intro von Sarah Seppendorf. Mit Gastmoderatorin Sophie Neugebauer starten wir in die Frage. Und verzetteln uns gleich einmal: wie frei können wir sein in unserer Co-Moderation. Dazwischen reden ist natürlich vorgesehen. Welche Richtung geben wir vor? Können wir uns verständigen? Wer hat das Mikro?

Jede Beziehung erzeugt Freiheitsmomente und Verbindlichkeitsmomente zugleich.

Um welche Beziehungen soll es gehen? Da sind vor allem erst einmal die Liebesbeziehungen. Manche werden zu Paarbeziehungen, mache werden Eltern, manche Ex-Beziehungen. Und da sind auch Freundschaften. Beziehungen zu den eigenen Kindern. Natürlich die beruflichen Beziehungen. Die einen Beziehungen gehen wir freiwillig ein, andere nicht.

Auch wenn wir Beziehungen freiwillig eingehen entstehen bindende Verantwortlichkeiten.

Da ist ein Freund, den wir in einer Notsituation begleiten. Wir haben sicher die Freiheit zu gehen, doch wir fühlen uns gebunden durch die Freundschaft. Unser moralisches Gewissen hält uns zurück. Da ist die Partnerin, die schwer erkrankt und sich vielleicht auch in ihrer Persönlichkeit verändern wird. Auch hier verzichten wir möglicherweise aus moralischen Überlegungen auf unsere Freiheit.

Wie frei wir in Beziehungen sind, hängt auch von unserem moralischen Urteil ab.

Und überhaupt scheint uns der Freiheitsbegriff ganz schön an der Nase herum zu führen. Sicher können wir in unseren Beziehungen größtenteils frei sein, doch wollen wir es oft nicht. Gerade eben weil uns eine Verbindlichkeit in Beziehungen wichtig ist. Unsere Freiheit scheint oft nur in einem verbindlichen festen Rahmen sinnvoll.

Wir können möglicherweise gerade so frei sein, wie wir es wollen.

Warum nur klagen wir so oft über Unfreiheiten und Abhängigkeiten in Beziehungen? Da ist die Weltreisende, die alle Beziehungen in ihrer Heimat aufgegeben hat. Da ist der allein erziehende Vater mit zwei Kindern. Wer ist freier in seinen Beziehungen? Auf den ersten Blick klar, erscheint es jedoch auf den zweiten unentscheidbar. Vielleicht flieht die Weltreisende von einer abhängigen Beziehung in die nächste. Vielleicht erfährt der Vater die notwendig hohe Verbindlichkeit zu seinen Kindern als Befreiung von einer wie auch immer verstandenen „Selbstfindung“.

Beziehungen können uns abhängig oder frei machen, es hängt von uns selbst ab.

Und so richten wir zuletzt den Blick auf die Möglichkeiten, in Beziehungen Freiheit zu gewinnen. Wer kann sich zum Beispiel selbst romantisch küssen? Und auch wenn wir uns selbst lieben können, so ist es doch wundervoll geliebt zu werden.

Wie werde ich Autor meines eigenen Lebens?

Die Titelfrage löst zunächst Verwunderung aus. Wer wenn nicht ich sollte denn Autor meines Lebens sein? Schließlich lebe ich mein Leben doch immer selbst, niemand anders bewegt meine Füße, erzeugt in mir Gedanken, macht meine Gefühle und motiviert mich zu Zielen. Doch schnell kommen auch Zweifel daran. Wie ist es mit dem zeitweisen Gefühl, so gar nicht das eigene Leben zu Leben, sondern nur die Erwartungen anderer?

Vieles scheint mich davon abzuhalten, wirklich mein eigenes Leben zu leben

Da ist zum Beispiel der Arztsohn, der auch Medizin studiert und Arzt wird, um später die Praxis zu übernehmen. Der jedoch leider sehr unglücklich ist damit. Da ist die junge Mutter geliebter Kinder, die nun viele eigene Wünsche zurück stellen oder gar verabschieden muss. Da sind zwei Menschen in Partnerschaft, die sich jeweils für sich fragen, ob ihre Bedürfnisse und Wünsche angemessen Berücksichtigung in der Beziehung finden.

Manchmal konkurrieren unsere Bedürfnisse auch miteinander und wir können nicht gleichzeitig alles realisieren

Hier gibt es die Meinung, dass wir dennoch Autoren unseres Lebens bleiben, weil wir uns schließlich entscheiden oder durch Nicht-Entscheiden entscheiden. Unser eigenes Leben zu leben enthebt uns nicht von den Bedingungen des Lebens und der Welt. Manches bleibt unerfüllbar. Vielleicht liegt die Kunst, sein eigenes Leben zu führen, gerade darin, Unveränderteres und Unkontrollierbares zu akzeptieren und für sich den besten Lebensweg daraus zu wählen.

Autorenschaft enthebt uns nicht von den Bedingungen des Lebens und der Welt

Wir können dies oder das Bestehende in der Welt als einen Rahmen und als Orientierung in der Welt sogar gut gebrauchen. Wie „Buchdeckel“, die unsere Geschichte enthalten. Es scheint ohnehin eher auf eine Angemessenheit der eigenen Autorenschaft anzukommen. Hier mag sich Mensch selbst wählen, ob das eigene Leben auf dem Ozean frei im eigenen Boot Wirklichkeit wird oder gut gerahmt in gesellschaftlichen Konventionen.

Autorenschaft scheint in einem gewissen selbst gewählten und angemessenen Freiheitsgrad zu bestehen

Wie werde ich also Autor meines eigenen Lebens? Vielleicht indem ich mir meiner Freiheit ebenso wie meiner Begrenztheit bewusst werde und angemessen selbst wähle. Der Text meines Lebens bestünde dann in dieser Wahl, die möglicherweise lebenslang immer wieder getroffen werden kann.

Wieviel Verantwortung trage ich für die Gefühle anderer?

Diesmal diskutieren wir sehr kontrovers. Da ist einer, der erklärt, wir haben gar keine Verantwortung für die Gefühle anderer. Da sind aber auch einige, die betonen, dass ich mich sehr wohl verantwortlich zeigen sollte, wenn ich durch mein Handeln oder Sprechen Gefühle bei anderen auslöse.

Wieviel ich mich verantwortlich zeigen sollte wird unterschiedlich wahrgenommen.

Nein, ich habe überhaupt keine Verantwortung. Deine Gefühle zu regulieren und damit klar zu kommen, was andere über dich sagen oder denken mögen, ist deine Sache allein. Was andere dir gegenüber tun, wie sie sich verhalten ist unerheblich für deine Gefühle, denn du bewertest die Handlungen anderer selbst und erst dadurch entstehen in dir Gefühle.

Eine Position: Jeder ist der Autor seiner eigenen Gefühle. Gefühle entstehen erst aus der persönlichen Wahrnehmung und Bewertung heraus.

Doch, manchmal sollte ich Verantwortung übernehmen. Immer dann zum Beispiel, wenn ich Verantwortung trage für Menschen, die von mir abhängig sind, wie Kinder oder hilfsbedürftige Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Ich sollte stets bedenken und achtsam sein, was mein Handeln und Sprechen für diese Menschen bedeutet.

Eine andere Position: Gegenüber Menschen, die auf mich angewiesen sind trage ich sehr wohl Verantwortung für deren Gefühle.

Ein Kind anschreien, dass einen Fehler macht, bedeutet für dieses Kind einen Schmerz, löst Gefühle aus von Ohnmacht, Angst, Unsicherheit, Wertlosigkeit. Sollte ich mich nicht immer verantwortlich fühlen für diese Gefühle, die ich durch mein Handeln und Sprechen gegenüber Kindern auslöse? Welche Möglichkeiten der eigenen Regulation haben schließlich Kinder, insbesondere wenn sie noch sehr jung sind?

In Beziehungen zu Kindern scheint es so zu sein, dass ich eine Verantwortlichkeit für die Gefühle der Kinder trage.

Und dann gibt es auch noch die Frage nach der Reichweite der Verantwortlichkeit. Einige sind der Ansicht, dass ich zwar nicht verantwortlich sein kann für die Gefühle die ich in anderen auslöse. Jedoch sollte ich mich offen zeigen für einen Austausch und ein Gespräch darüber mit anderen. Verantwortlichkeit bedeutet in diesem Sinne eine stete Auseinandersetzung damit, welche Folgen mein Handeln und Sprechen für die Gefühle meiner Mitwelt haben.

Meine Verantwortlichkeit scheint sich zwar meist nicht auf die Gefühle anderer zu beziehen, sie bedeutet jedoch vielleicht, dass ich stets bereit bin, mich mit den Folgen meines Handelns für die Gefühle anderer auseinander zu setzen.

Auch wenn wir unterschiedliche Positionen behalten, so bleibt doch die Erfahrung, dass die meisten davon überzeugt sind, dass es gut ist, respektvoll und mit offenem Herzen auf die Gefühle anderer zu achten.

Können wir alles erreichen was wir wollen?

Zunächst setzen wir uns mit dem „alles“ in der Frage auseinander. Ist es nicht so, dass solche Aussagen mit „immer“, „nie“ oder eben „alles“ meist nicht zutreffen können? So ändert sich die Frage gleich zu Beginn des Gesprächs in: „Wann können wir erreichen, was wir wollen?“ Es gibt danach Beiträge, die darauf hinweisen, dass wir etwas erreichen können, eben weil wir es so stark wollen.

Können wir etwas erreichen, gerade weil wir es so stark wollen?

Natürlich gibt es zum Beispiel die Verliebtheit. Da erreicht einer einen geliebten Menschen, eben weil er so sehr liebt und alles versucht, sie von sich zu überzeugen. Eine andere erlernt ein Instrument so perfekt zu spielen, eben weil sie es sich so sehr wünscht und sie jede freie Minute übt.

Ein starker Wille kann uns motivieren, etwas zu erreichen, indem wir es immer wieder anstreben.

Doch es gibt auch Einwände. Da ist es in einem Fall nicht ein Wollen, sondern eine schlichte Entlassung, die dazu führt, endlich eine lange ersehnte selbständige Tätigkeit zu beginnen. Und da ist natürlich der Hinweis darauf, dass viele Menschen allein aufgrund ihrer Geburt nicht die Möglichkeiten haben, etwas zu erreichen.

Ein Wollen allein reicht nicht hin, etwas zu erreichen, manchmal ist es nicht einmal Voraussetzung dafür.

Und wie ist es mit den großen Themen? Mit der Bewältigung des Klimawandels, einer friedlichen Weltpolitik, der Verwirklichung einer freien und gleichen Gesellschaft? Viele von uns sind sicher, dass ein Wollen von Vielen einen gesellschaftlichen Wandel bewirken kann. Doch wie steht das Wollen von einzelnen in Beziehung zu einem gesellschaftlichen Willen?

Denken wir an ein Wollen von Vielen, so erscheint das Erreichen von Zielen als eine ganz andere Frage.

Es scheint nicht einfach die Summe einzelnen Wollens zu sein, was schließlich als Gesellschaft erreicht wird. Wenn alle den Müll trennen ist der Klimawandel noch nicht aufgehalten, oder doch? Und es wird oft als frustrierend erfahren, dass die eigenen Überzeugungen sich politisch nicht durchsetzen. Oder andere politische Überzeugungen irgendwie dann doch.

Wir scheinen gesellschaftlich weniger erreichen zu können, was wir wollen, als individuell.

Es scheint für uns gefühlt einfacher zu sein, persönliche Ziele zu erreichen, die wir wirklich wollen. Das mag daran liegen, dass wir mehr Einfluss auf unsere persönlichen Ziele haben.

Vielleicht ist es gut, wenn wir uns immer mal wieder mit persönlichen Zielen in unserem Wollen erleben.

Warum schämen wir uns für andere?

Zunächst einmal fallen uns viele Beispiele ein, in denen wir uns für andere schämen. Da ist die Frau mit dem verschobenen Make-up und dem viel zu durchsichtigen Kleid, die dies offensichtlich selbst nicht bemerkt. Da ist der eigene Mann, der einfach nicht tanzen kann. Da ist der Tischnachbar, der alle guten Manieren vermissen lässt. Die eigene Mutter auf dem Dorffest, wie sie jedem, der es nicht vermeiden kann, ausführlich aus ihrem Leben erzählt.

Wir können für andere Scham empfinden, auch wenn sie sich selbst nicht schämen.

Nur warum tun wir dies? Verantwortlich fühlen wir uns nicht. Es sei denn wir handeln und klären zum Beispiel die Situation auf. Doch dann hört die Scham auf. Das Schamgefühl hingegen hält uns in der Nicht-Verantwortung. Oder vielleicht entsteht das Schamgefühl für andere gerade aus der im Nicht-Handeln angestauten Energie.

Die Scham für andere wird so zu einem moralischen Gefühl.

Ob wir uns schämen oder nicht, stellt uns in einen moralischen Zusammenhang mit unserer Mitwelt. Ist es angemessen so oder so zu handeln, sich so oder so zu geben, mit anderen so oder so in Bezug zu gehen? Wir beantworten diese Frage mit einem moralischen Gefühl, der Scham. Fehlte uns diese, so fehlte ein wichtiges Regulativ im sozialen Leben.

Die Scham für andere ist Motiv und Antrieb für unser Handeln.

Handeln wir in Verantwortlichkeit für andere, so verschwindet die Scham. Bleiben wir im entrüsteten oder irritierten Nicht-Handeln, so bleibt ein unangenehmes Gefühl in uns bestehen. Doch woher nehmen wir das Mass von Angemessenheit, von dem oben die Rede war? Ist dieses nicht willkürlich und abhängig von unseren kulturellen Gesetzen und sozialen Erfahrungen? Die Scham für andere stellt selbst auch eine dieser Gesetze und Erfahrungen dar.

Die Scham für andere ist Teil des dynamischen sozialen Geschehens und damit an der Entstehung unseres moralischen Gefühls beteiligt.

Wir schämen uns für andere, weil wir es als soziale Wesen können. Wir handeln moralisch, wenn wir über die Scham hinaus wachsen und uns fragen, auf welche Verantwortlichkeit die Scham verweist. Damit gehört die Scham für andere, wie die Scham für uns selbst und andere soziale Gefühle zu den Grundlagen unseres moralischen Vermögens.

Warum nur bist du so verführerisch für mich?

Zunächst fallen uns einige Beispiele ein. Da ist die italienische Handtasche, die uns zum Kauf verführt. Da ist die Idee eines Freundes, die mich verführt, mein bisheriges Vorhaben aufzugeben. Da ist ein wundervoller Mann oder eine wundervolle Frau, die mich verführt, an diesem Abend meine moralischen Vorbehalte auszusetzen.

Eine Verführung bringt mich dazu, etwas zu tun, dass ich sonst nicht getan hätte.

Und ist dies verwerflich? Wir sind unentschieden. Manchmal werfen wir wichtige Werte über Bord und bereuen es danach. Wir betrügen unsere Partner, essen das Falsche, kaufen zu viel und Unnötiges. Und manchmal erleben wir als Verführte Aufregendes und Neues, das uns nachhaltig positiv verändert. Wir entdecken neue Landschaften, lernen fremde Menschen kennen, ändern unseren Blick auf die Welt.

Sich verführen zu lassen kann mir Gutes einbringen oder auch nicht.

Es scheint nicht nur das Verführende oder der oder die Verführer*in aktiv beteiligt. Auch der oder die Verführte ist mit seiner Entscheidung beteiligt. Lasse ich mich verführen? Vielleicht sogar gerne? Manchmal tut es gut, die Kontrolle aufzugeben, die Verantwortung abzugeben. „Ich bin es nicht gewesen!“ – „Die Verführung war zu stark!“

Lasse ich mich verführen, so gebe ich zumindest scheinbar meine Verantwortung ab.

Vielleicht bist du so verführerisch für mich, weil du mir die Last der Verantwortung für das, was geschieht nimmst. Und auch wenn ich das nicht glaube, so ist es doch ein wunderbares Spiel. Als Verführte*r bin ich schuldlos von meinem Weg abgekommen. Als Verführende*r kann ich ohne Zwang mein Eigenes realisieren. Und auf der anderen Seite behalte ich mir als Verführte*r die Kontrolle meines Einverständnisses vor. Und als Verführende*r dieses Einvernehmen.

Die Verführung zeigt sich als ein Spiel mit unseren Verantwortlichkeiten.

Am Ende werden wir dann meist doch auf unsere Verantwortung zurück geworfen und zahlen den Preis. Doch nicht sofort. Wie gelingt dies? Eben weil Verführung ein Spiel ist. In den Andeutungen, im Halbdunkel, im Spiel mit meiner Lust, mit meinen Begehrlichkeiten. „Du kann alles haben!“ haucht die Verführung in mein Ohr. Und wenn ich auch weiß, dass es nicht stimmen kann, so wäre es doch wunderschön.

Die Verführung lebt im noch nicht Vollendeten. In der Vollendung ist sie tot.

Und genau das lieben wir. Davon leben wir. In der Möglichkeit ist alles möglich. Wer möchte schon wirklich alles Mögliche haben?

Gibt es etwas Gutes am Scheitern?

Sogleich gibt es viele Beispiele für Gutes am Scheitern. Da ist eine, die berichtet, dass sie nach ihrer Trennung nun in einer guten Beziehung ist. Da ist ein anderer, der erzählt, dass er nach dem Rauswurf aus dem Unternehmen nun eine viel bessere Zeit beruflich hat mit mehr Anerkennung. Da ist eine andere, die erzählt, dass nur die unzähligen gescheiterten Versuche ihrer Kinder dazu geführt haben, dass sie schließlich Laufen gelernt haben. Da ist noch einer, der erklärt, erst nachdem eine Sache gescheitert ist, kann mensch sich für neue Möglichkeiten öffnen.

Ein Scheitern beendet eine Sache endgültig und neue Perspektiven werden möglich.

Doch wer bewertet denn, dass etwas gescheitert sei? Sind wir es selbst? Sind es andere, Eltern, Chefs, eine Kultur? Wenn wir selbst etwas als gescheitert betrachten, ergeht es uns manchmal besser, manchmal auch schlechter. Hätten wir es anders oder besser machen können? Es wird von vielen als hilfreich angesehen, die Verantwortung für ein Scheitern selbst zu tragen, jedoch auch bald wieder loslassen zu können. Wir fühlen uns anscheinend meist besser, wenn wir auf etwas hin streben, eben noch nicht gescheitert sind.

Können wir unser Scheitern loslassen wird ein Neuanfang möglich.

Doch es gibt auch andere Hinweise. Mancher mag so schlimm gescheitert zu sein, dass ein Neuanfang unmöglich scheint. Hierzu meinen einige, dass es gut sein kann, sein Scheitern rechtzeitig einzugestehen und nicht zu lange an unerreichbaren Zielen festzuhalten. Vielleicht beginnt also das Gute am Scheitern bereits vor dem Ende eines erstrebten Ziels.

Wir können Ziele rechtzeitig loslassen und ein gutes Scheitern ermöglichen.

Schließlich fallen uns auch noch weitere Aspekte des Scheiterns ein. Jedes Scheitern wird immer auch von starken Gefühlen begleitet. Negativ bewertete Gefühle wie Zweifel, Versagen, Schuld, Angst oder Wertlosigkeit. Dabei fällt uns auf, dass die schlechten Gefühle oft nicht mit den Sachverhalten überein stimmen. Vielleicht habe ich nur ein „gut“ in der Prüfung und fühle mich gescheitert, weil ein „sehr gut“ mein Ziel war. Wäre bei Ziel ein Abschluss, dann hätte ich Erfolg!

Ob ich Erfolg oder Scheitern erlebe, hängt auch von meinen Zielen ab.

Ich kann meine Ziele angemessen wählen und meine Gefühle achtsam regulieren. Dann werde ich wahrscheinlich seltener Scheitern. Doch vielleicht ist es auch manchmal besser, mit ganzem Gefühl und voller Absicht „unmögliche“ Ziele anzustreben. Menschlich sind beide Haltungen allemal.

Müssen wir unsere Versprechen einhalten?

Wir finden zunächst viele Beispiele für Versprechen. Da ist natürlich das Eheversprechen, das Freundschaftsversprechen, ein Versprechen zu helfen, da zu sein, etwas bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. Häufig sind es Sätze zu anderen in der Form: Ich verspreche dir (…). Durch ein Versprechen wollen wir Vertrauen in einer Beziehung schaffen. Mit der Einhaltung von Versprechen wächst das Vertrauen in die Beziehung.

Versprechen haben die Funktion, Vertrauen einer Beziehung zu schaffen.

Diesmal werden in den Beispielen gegensätzliche Auffassungen deutlich. Da ist auf der einen Seite das Argument, dass Versprechen etwas sehr Wertvolles sind, die darum auch unbedingt einzuhalten sind. Auf der anderen Seite wird das Argument vertreten, dass zum Zeitpunkt des Versprechens niemals alle zukünftigen Bedingungen vorher gesehen werden können. Daher sollten Versprechen auch auflösbar sein.

Ein Versprechen bezieht sich immer auf einen zukünftigen Sachverhalt, der von der Gegenwart aus nicht vorhersehbar sein kann.

Da ist zum Beispiel das Versprechen, die Eltern bis zum Tod zu Hause zu begleiten und wenn notwendig zu pflegen. Nun kann der Aufwand nicht mehr bewältigt werden und den Eltern geht es nicht gut zu Hause. Da ist das Versprechen, beim Umzug zu helfen. Jetzt ist ein Urlaub geplant oder eine Erkrankung kommt dazwischen. Da ist das Versprechen, bis zum Lebensende miteinander in der Ehe zu leben. Nun ist die Liebe erloschen und das Zusammenleben unerträglich geworden.

Treten unvorhersehbare Umstände ein, kann oder will ich mein Versprechen möglicherweise nicht einhalten.

Aber ist es gerechtfertigt, den hohen Wert eines Versprechens aus persönlichen Gründen in Frage zu stellen, indem ich mein Versprechen nicht einhalte? Was wird dann aus diesem Wert? Es werden Beispiele genannt von Lebensbereichen, in denen ein Versprechen nicht mehr viel gilt. Da sind die Versprechen der Werbung, immer wieder Versprechen von Politikern, manchmal auch Versprechen von Handwerkern und Autowerkstätten.

Werden Versprechen immer wieder nicht eingehalten, schwindet unser Vertrauen.

Wenn aber auf der einen Seite klar ist, wir können nicht alle Versprechen einhalten, auf der anderen Seite jedoch ebenso erfahrbar, dass die Einhaltung eines Versprechens erst seinen Wert begründet, wie kommen wir nur aus dieser Klemme heraus? Einerseits ist uns der Wert an sich wichtig, andererseits fordern uns in der Lebenspraxis ständig neue Bedingungen heraus.

Wir geraten in ein Dilemma zwischen dem Wert eines Versprechens und den sich wandelnden Anforderungen der Welt an uns.

Aus diesem Grund erscheint uns nun einzig eine geregelte Auflösbarkeit eines Versprechens als Lösung. Da ist der Vorschlag, wer ein Versprechen annimmt, kann dieses auch wieder zurück geben, wenn Argumente und Gründe dies rechtfertigen. Da ist der Vorschlag, ich sei bei sehr wesentlichen Veränderungen der Gründe für ein Versprechen nicht mehr an mein Versprechen gebunden.

Es scheint, dass die Ausnahme von der Regel erst ein moralisches Gebot bekräftigt.

Ein Versprechen ist immer einzuhalten, das ist die Regel. Das moralische Gebot entsteht erst durch die notwendige Ausnahme von der Regel. Wir sind moralisch herausgefordert als Menschen. Regeln befolgen können bereits Automaten.

Brauchen wir andere Menschen zum glücklich sein?

Wir finden zunächst viele Beispiele dafür, dass wir andere Menschen brauchen, um glücklich zu sein. Da ist das Glück geliebt zu sein, wert geschätzt zu werden, anerkannt. Wie sollten wir es ohne andere Menschen erfahren können? Das Glück finden wir häufig in sozialen Beziehungen. Leider sind diese auch oft der Grund dafür unglücklich zu sein.

Wir können Glück erfahren im Kontakt mit anderen Menschen.

Und dann ist da auch die biographische Tatsache, dass wir alle zunächst auf andere Menschen angewiesen sind. Als Säuglinge und Kinder brauchen wir andere Menschen nicht nur um versorgt zu sein, wir erleben auch Glück und Unglück mit ihnen. So lernen wir, dass wir andere Menschen brauchen um glücklich zu sein. Wir nehmen es sozusagen mit der Muttermilch auf.

Biographisch sind wir alle zunächst angewiesen auf andere Menschen, um glücklich zu sein.

Doch muss das so bleiben? Stellt es nicht eine wesentliche Entwicklung von uns Menschen dar, dass wir uns von anderen Menschen unabhängig machen können? Viele berichten von der Erfahrung, dass sie mit sich allein ein besonderes tiefes Glücksgefühl empfinden können. Abseits der Geschäftigkeit von Beziehungen und in Stille.

Im späteren Leben können wir auch mit uns allein und in Stille Glück empfinden.

Nun unterscheiden einige Glück von Zufriedenheit, ein tiefes, jedoch eher nur kurz anhaltendes Gefühl von einem länger anhaltenden wahr genommenen Zustand im Alltag. Dem doch meist flüchtigen Gefühl wird von einigen auch nachgesagt, dass es nur selten absichtsvoll herbei geführt werden kann. Es passiert einfach, zufällig. Dies erleben wir manchmal allein und manchmal auch mit anderen.

Verstehen wir unter glücklich sein ein eher zufälliges Gefühl, so können andere Menschen beteiligt sein oder auch stören.

Nur: warum wissen wir überhaupt vom glücklich sein? Sind wir nicht alle darauf angewiesen, dies bereits mit anderen erfahren zu haben? Einige berichten davon, dass es Menschen, die in ihrer Biographie eher glückliche Beziehungen erlebt haben, leichter fällt, auch alleine Glück zu empfinden.

Möglicherweise sind Erfahrungen von Glück in Beziehungen die Grundlage für ein empfundenes Glücksgefühl.

Zusammengefasst scheint es eher so zu sein, dass andere Menschen zum glücklich sein hilfreich sein können und zumindest in der Kindheit gebraucht werden. Im späteren Leben können wir auch Erfahrungen machen von Glück, die unabhängig von Beziehungen zu anderen Menschen bestehen.