Wie frei können wir sein in unseren Beziehungen?

Sonderausgabe! Gänsehaut beim Live-Intro von Sarah Seppendorf. Mit Gastmoderatorin Sophie Neugebauer starten wir in die Frage. Und verzetteln uns gleich einmal: wie frei können wir sein in unserer Co-Moderation. Dazwischen reden ist natürlich vorgesehen. Welche Richtung geben wir vor? Können wir uns verständigen? Wer hat das Mikro?

Jede Beziehung erzeugt Freiheitsmomente und Verbindlichkeitsmomente zugleich.

Um welche Beziehungen soll es gehen? Da sind vor allem erst einmal die Liebesbeziehungen. Manche werden zu Paarbeziehungen, mache werden Eltern, manche Ex-Beziehungen. Und da sind auch Freundschaften. Beziehungen zu den eigenen Kindern. Natürlich die beruflichen Beziehungen. Die einen Beziehungen gehen wir freiwillig ein, andere nicht.

Auch wenn wir Beziehungen freiwillig eingehen entstehen bindende Verantwortlichkeiten.

Da ist ein Freund, den wir in einer Notsituation begleiten. Wir haben sicher die Freiheit zu gehen, doch wir fühlen uns gebunden durch die Freundschaft. Unser moralisches Gewissen hält uns zurück. Da ist die Partnerin, die schwer erkrankt und sich vielleicht auch in ihrer Persönlichkeit verändern wird. Auch hier verzichten wir möglicherweise aus moralischen Überlegungen auf unsere Freiheit.

Wie frei wir in Beziehungen sind, hängt auch von unserem moralischen Urteil ab.

Und überhaupt scheint uns der Freiheitsbegriff ganz schön an der Nase herum zu führen. Sicher können wir in unseren Beziehungen größtenteils frei sein, doch wollen wir es oft nicht. Gerade eben weil uns eine Verbindlichkeit in Beziehungen wichtig ist. Unsere Freiheit scheint oft nur in einem verbindlichen festen Rahmen sinnvoll.

Wir können möglicherweise gerade so frei sein, wie wir es wollen.

Warum nur klagen wir so oft über Unfreiheiten und Abhängigkeiten in Beziehungen? Da ist die Weltreisende, die alle Beziehungen in ihrer Heimat aufgegeben hat. Da ist der allein erziehende Vater mit zwei Kindern. Wer ist freier in seinen Beziehungen? Auf den ersten Blick klar, erscheint es jedoch auf den zweiten unentscheidbar. Vielleicht flieht die Weltreisende von einer abhängigen Beziehung in die nächste. Vielleicht erfährt der Vater die notwendig hohe Verbindlichkeit zu seinen Kindern als Befreiung von einer wie auch immer verstandenen „Selbstfindung“.

Beziehungen können uns abhängig oder frei machen, es hängt von uns selbst ab.

Und so richten wir zuletzt den Blick auf die Möglichkeiten, in Beziehungen Freiheit zu gewinnen. Wer kann sich zum Beispiel selbst romantisch küssen? Und auch wenn wir uns selbst lieben können, so ist es doch wundervoll geliebt zu werden.

Wie werde ich Autor meines eigenen Lebens?

Die Titelfrage löst zunächst Verwunderung aus. Wer wenn nicht ich sollte denn Autor meines Lebens sein? Schließlich lebe ich mein Leben doch immer selbst, niemand anders bewegt meine Füße, erzeugt in mir Gedanken, macht meine Gefühle und motiviert mich zu Zielen. Doch schnell kommen auch Zweifel daran. Wie ist es mit dem zeitweisen Gefühl, so gar nicht das eigene Leben zu Leben, sondern nur die Erwartungen anderer?

Vieles scheint mich davon abzuhalten, wirklich mein eigenes Leben zu leben

Da ist zum Beispiel der Arztsohn, der auch Medizin studiert und Arzt wird, um später die Praxis zu übernehmen. Der jedoch leider sehr unglücklich ist damit. Da ist die junge Mutter geliebter Kinder, die nun viele eigene Wünsche zurück stellen oder gar verabschieden muss. Da sind zwei Menschen in Partnerschaft, die sich jeweils für sich fragen, ob ihre Bedürfnisse und Wünsche angemessen Berücksichtigung in der Beziehung finden.

Manchmal konkurrieren unsere Bedürfnisse auch miteinander und wir können nicht gleichzeitig alles realisieren

Hier gibt es die Meinung, dass wir dennoch Autoren unseres Lebens bleiben, weil wir uns schließlich entscheiden oder durch Nicht-Entscheiden entscheiden. Unser eigenes Leben zu leben enthebt uns nicht von den Bedingungen des Lebens und der Welt. Manches bleibt unerfüllbar. Vielleicht liegt die Kunst, sein eigenes Leben zu führen, gerade darin, Unveränderteres und Unkontrollierbares zu akzeptieren und für sich den besten Lebensweg daraus zu wählen.

Autorenschaft enthebt uns nicht von den Bedingungen des Lebens und der Welt

Wir können dies oder das Bestehende in der Welt als einen Rahmen und als Orientierung in der Welt sogar gut gebrauchen. Wie „Buchdeckel“, die unsere Geschichte enthalten. Es scheint ohnehin eher auf eine Angemessenheit der eigenen Autorenschaft anzukommen. Hier mag sich Mensch selbst wählen, ob das eigene Leben auf dem Ozean frei im eigenen Boot Wirklichkeit wird oder gut gerahmt in gesellschaftlichen Konventionen.

Autorenschaft scheint in einem gewissen selbst gewählten und angemessenen Freiheitsgrad zu bestehen

Wie werde ich also Autor meines eigenen Lebens? Vielleicht indem ich mir meiner Freiheit ebenso wie meiner Begrenztheit bewusst werde und angemessen selbst wähle. Der Text meines Lebens bestünde dann in dieser Wahl, die möglicherweise lebenslang immer wieder getroffen werden kann.

Wo lassen wir dem Leben freien Lauf?

Diesmal in der Sonderausgabe! in großer Runde. Die Teilnehmenden können nicht nur im Plenum miteinander ins Gespräch kommen, sondern auch nach der Pause an den Tischen gleichzeitig parallel. Die dadurch entstehenden vielfältigen Gesprächsfäden können hier nur in Auszügen nachvollzogen werden.

Zunächst einmal stellen wir fest, dass es Zeiten gibt im Alltag, die durch vielfältige Pflichten und „müssen“ bestimmt sind. Dies wird von den Meisten als unfrei wahrgenommen. Dagegen wünschen wir uns Zeit, die wir frei gestalten können. Zum Beispiel in unserer Freizeit, wo wir einem Hobby nachgehen. Hier haben wir meist den Eindruck, dass wir dem Leben freien Lauf lassen. Aber ist dem auch so?

Mit der Fragestellung stoßen wir auf die Widersprüchlichkeit der Freiheit selbst.

Auch wenn ich meine Zeit frei gestalte ohne äußere Zwänge, so lasse ich dem Leben selbst oft doch nicht seinen freien Lauf, eben weil ich gestalte. Hingegen kann ich an meinem Arbeitsplatz sehr wohl dem Leben freien Lauf lassen, wenn ich akzeptiere, dass ich keine Kontrolle über die Gestaltung der Zeit habe. Nehme ich gelassen hin, dass in dieser Zeit mein Chef oder ein bestimmter Arbeitsablauf mein Handeln bestimmt, vollziehe ich nach, wie mein Leben in diesem Moment gerade ist.

Unser Leben scheint weit mehr zu sein, als unser Wunsch nach freier Zeitgestaltung.

Wenn ich meine freie Zeit aktiv gestalte, ist noch gar nicht entschieden, ob ich dem Leben freien Lauf lasse. Immer wenn ich mich – meinetwegen frei – für etwas entscheide, habe ich ein Stück Freiheit meines Lebens eingeschränkt, eine Richtung eingeschlagen, andere Wege zurück gelassen. Wenn ich zum Yoga gehe, kann ich zu Hause nicht mit meiner Familie sein. Freiheit habe ich vor der Entscheidung, nachdem ich ausgewählt habe, sind meine Lebensmöglichkeiten dadurch bestimmt.

Dem Leben freien Lauf zu lassen führt uns zu einem inneren Konflikt.

Wie gelange ich zu einer freien Entscheidung? Und mit welcher Haltung begegne ich den gegebenen Möglichkeiten? Und ich kann mich nicht nicht entscheiden. Vielleicht also einmal nicht lange nachdenken, sondern den „Bauch“ entscheiden lassen? Was könnte das philosophisch bedeuten? So könnte ich mich bewusst dazu entscheiden, einen noch unbekannten Weg zu gehen. Hinein in ein noch Unbekanntes.

Im noch Unbekannten kann ich dem Leben mit Neugier begegnen.

Meine Denkgewohnheiten bieten mir Sicherheit. Ich kenne mich aus in meinem Beruf. Ich kenne die Menschen in meiner Familie. Meine Freunde können von mir erwarten, dass ich sie nicht enttäusche. Doch nur wenn ich diese Gewohnheiten verlasse, öffne ich mich dem Leben gegenüber.

Wie frei sind wir wirklich in unserem Denken und Handeln?

Es heißt: Die Gedanken sind frei. Dennoch nehmen wir wahr, dass wir eingebunden sind in Muster des Verstehens, des Beschreibens von Wirklichkeit, des Handelns. Wir sind auf andere Menschen angewiesen und richten unser Denken auf den Erhalt von Beziehungen und die Wahrung von Ressourcen.

Wir entwickeln als Menschen unser Denken parallel zu unseren Erfahrungen, die sich aus unseren Handlungen ergeben.

Ich kann mich vom Arbeitsleben als Angestellte befreien und mich selbständig machen. Doch erfahre ich bald, dass ich in meinem Handlungen nicht frei bin, sondern eingebunden in die Erwartungen meiner Kunden. Auch mein Denken zielt sehr bald darauf ab, die Kundenwünsche zu erfüllen, um in meiner selbständigen Tätigkeit erfolgreich zu sein.

Ich kann in der Liebe zwar darüber nachdenken, anstatt mit Anna mit Leonie zusammen zu sein. Aber wenn ich danach handeln will, treffe ich eine Entscheidung, die meine Freiheit für zukünftige Handlungen nicht vergrößert. Auch ist es weniger denkbar, nach meiner Entscheidung für Leonie erneut über eine Rückkehr zu Anna nachzudenken.

Vieles in meinem Denken scheint bereits in der Kindheit angelegt zu werden. Sitze ich bei meiner Mutter auf dem Sofa, werde ich vielleicht wieder zum Kind. Die Erwartungen anderer Menschen zu verändern, ist mir nur schwer möglich.

Ich scheine gefangen in den Denk- und Handlungsmustern meiner Biographie. Einer Biographie, die ich größtenteils nicht selbst geschrieben habe.

Und dennoch habe ich das sichere Gefühl, dass es einen Spalt gibt zwischen den vielen Bedingungen und Erfahrungen des Lebens, der meine Freiheit ausmacht. Ich kann mich eben doch, so oder so entscheiden. Ich kann darüber nachdenken. Ich kann mein Handeln nach meinen Überlegungen ausrichten. Nicht immer. Aber doch auch.

Ich kann mein Handeln nach meinen Werten beurteilen und meine Freiheit ausüben.

Dies zu tun, jeden Tag ein wenig, ist die Bedeutung von Philosophieren.