Wir suchen Beispiele für Gewalt, die uns gerechtfertigt vorkommt. Da erzählt jemand von Notwehr bei einem handgreiflichen Angriff auf die eigene Person. Aber damals habe er friedlich bleiben wollen – und mit einer blutenden Nase bezahlt. Eine andere erzählt, dass sie früher in der Schule dazu aufgefordert wurde, doch einmal zurück zu schlagen. Dieser Ansicht sei sie jedoch nun nicht mehr. Ein anderer erzählt von Beleidigungen und rassistischen Anfeindungen, auf die er mit Fäusten reagiert hat. Jedoch glaubt er heute, dass es bessere Antworten gibt.
Gerechtfertigt erscheint uns körperliche Gewalt gegenüber anderen, wenn die eigene Person bedroht ist.
Wir sprechen auch über andere Formen von Gewalt. Jemand erzählt, dass sie sehr viel Ausgrenzung erfahren hat als eine Form psychischer Gewalt. Oder ein anderer berichtet, wie er aus Wut einen Schrank zertrümmert hat. Und sie berichtet davon, dass physische Gewalt, wenn sie präventiv eingesetzt wird, weitere Gewalt verhindern kann. Gewalt kann viele Formen haben. Einige andere haben Zweifel, ob Gewalt hilfreich ist, wenn wir als Ziel weitgehende Gewaltlosigkeit anstreben.
Individuelle Gewalt mag manchmal gerechtfertigt erscheinen – für ein allgemeines Ziel von Gewaltlosigkeit scheint sie ungeeignet
Es scheint – wie so oft – einen Widerspruch zwischen individueller Praxis und einem erstrebenswerten Ideal zu geben, zwischen Moralität und Ethos. Als eine Lösung für dieses Dilemma erkennen wir das Konstrukt der Staatsgewalt. Jeder einzelne überträgt sein Recht auf Schutz der eigenen Person weitgehend auf eine juristische Institution. Nur haben sich die Hoffnungen auf eine gerechte – und damit gewaltfreie – Gesellschaft (vielleicht: noch) nicht erfüllt.
In einer idealen und damit gerechten Gesellschaft wäre die Frage der Gewalt gelöst und stellte sich nicht mehr den Individuen.
Doch es kommen auch Bedenken. Uns fallen zu viele dystopische Romane ein, in denen zwar allgemeine Gerechtigkeit zu herrschen scheint, Herrschaft als solche jedoch eher gewaltvoller ausgeübt wird. Wenn wir es mit der Gewaltlosigkeit ernst meinen, braucht es wohl mehr als eine gute Idee.
Bis dahin sind wir wohl auch stets auf’s Neue philosophisch herausgefordert, ob wir (manchmal) Gewalt anwenden dürfen.