Warum nur bist du so verführerisch für mich?

Zunächst fallen uns einige Beispiele ein. Da ist die italienische Handtasche, die uns zum Kauf verführt. Da ist die Idee eines Freundes, die mich verführt, mein bisheriges Vorhaben aufzugeben. Da ist ein wundervoller Mann oder eine wundervolle Frau, die mich verführt, an diesem Abend meine moralischen Vorbehalte auszusetzen.

Eine Verführung bringt mich dazu, etwas zu tun, dass ich sonst nicht getan hätte.

Und ist dies verwerflich? Wir sind unentschieden. Manchmal werfen wir wichtige Werte über Bord und bereuen es danach. Wir betrügen unsere Partner, essen das Falsche, kaufen zu viel und Unnötiges. Und manchmal erleben wir als Verführte Aufregendes und Neues, das uns nachhaltig positiv verändert. Wir entdecken neue Landschaften, lernen fremde Menschen kennen, ändern unseren Blick auf die Welt.

Sich verführen zu lassen kann mir Gutes einbringen oder auch nicht.

Es scheint nicht nur das Verführende oder der oder die Verführer*in aktiv beteiligt. Auch der oder die Verführte ist mit seiner Entscheidung beteiligt. Lasse ich mich verführen? Vielleicht sogar gerne? Manchmal tut es gut, die Kontrolle aufzugeben, die Verantwortung abzugeben. „Ich bin es nicht gewesen!“ – „Die Verführung war zu stark!“

Lasse ich mich verführen, so gebe ich zumindest scheinbar meine Verantwortung ab.

Vielleicht bist du so verführerisch für mich, weil du mir die Last der Verantwortung für das, was geschieht nimmst. Und auch wenn ich das nicht glaube, so ist es doch ein wunderbares Spiel. Als Verführte*r bin ich schuldlos von meinem Weg abgekommen. Als Verführende*r kann ich ohne Zwang mein Eigenes realisieren. Und auf der anderen Seite behalte ich mir als Verführte*r die Kontrolle meines Einverständnisses vor. Und als Verführende*r dieses Einvernehmen.

Die Verführung zeigt sich als ein Spiel mit unseren Verantwortlichkeiten.

Am Ende werden wir dann meist doch auf unsere Verantwortung zurück geworfen und zahlen den Preis. Doch nicht sofort. Wie gelingt dies? Eben weil Verführung ein Spiel ist. In den Andeutungen, im Halbdunkel, im Spiel mit meiner Lust, mit meinen Begehrlichkeiten. „Du kann alles haben!“ haucht die Verführung in mein Ohr. Und wenn ich auch weiß, dass es nicht stimmen kann, so wäre es doch wunderschön.

Die Verführung lebt im noch nicht Vollendeten. In der Vollendung ist sie tot.

Und genau das lieben wir. Davon leben wir. In der Möglichkeit ist alles möglich. Wer möchte schon wirklich alles Mögliche haben?

Gibt es die ewige Liebe?

Heute ist eine Antwort offensichtlich: Natürlich gibt es die ewige Liebe! Als Hoffnung, als Vorstellung, als Idee, als Wunsch. Aber finden wir auch Beispiele, in denen wir dies wirklich erfahren haben? Zumindest gibt es Hinweise. Da ist die Erfahrung einiger der elterlichen Liebe. Sie fühlen sich geliebt von den Eltern als Kinder und auch als Erwachsene. Vielleicht trägt diese Erfahrung der Liebe sogar über den Tod hinaus.

In der Liebe der Eltern finden wir ein Motiv bedingungsloser Liebe.

Da ist der Glaube an einen liebenden Gott oder eine andere spirituelle Erfahrung des geliebt Seins durch etwas Größeres als uns selbst. Der Idee nach sollte diese Liebe ewig sein. Doch es gibt auch Skepsis, ob wir davon Gewissheit haben können. Möglicherweise ist diese Vorstellung nur ein erdachter Trost. Vielleicht sogar hält uns diese Vorstellung davon ab, selbst zu lieben.

Auch im Glauben an einen liebenden Gott oder in einer spirituellen Erfahrung der Liebe finden wir Motive ewiger Liebe.

Schließlich finden wir auch in der Möglichkeit der Selbstliebe eine Möglichkeit „ewiger“ Liebe, zumindest lebenslang. Doch wir sind nicht einig, was diese Liebe zu sich selbst begründet. Ist es die elterliche Liebe? Die göttliche? Eine universelle Energie? Einige weisen darauf hin, dass wir zumeist eher geliebt sein wollen als selbst zu lieben.

Im Motiv der ewigen Liebe kann der Wunsch geliebt zu sein erkannt werden.

Nur wenn wir alle „ewig“ geliebt sein wollen, wer liebt dann? Wir kommen auf Beziehungsthemen zu sprechen. Es wird berichtet von Beziehungen, die nicht ewig dauern, sondern enden. Da ist die eine, bei der es trotz Trennung noch Gefühle von Liebe gibt. Da ist eine andere, nach der alle Hoffnung in eine andauernde tiefe Liebe verloren ist. Ist die romantische Liebe und eine darin begründete Beziehung überhaupt mit dem Ideal ewiger Liebe vereinbar?

Die romantische Liebe scheint der Vorstellung ewiger Liebe zu widersprechen.

Vielleicht sind verhandelte Beziehungen ohne romantische Gefühle eine Lösung? Oder ist es gerade anders herum, nur in der leidenschaftlichen Hingabe an einen anderen Menschen kann sich die ewige Liebe zeigen? Zumindest scheint die ewige Liebe nicht mit einer bestimmten Liebesbeziehung identisch, sondern Letztere ist vielleicht nur ein innerweltlicher Ausdruck ewiger Liebe.

Die erfahrene Liebe mag vielleicht ein Hinweis auf die Existenz der ewigen Liebe sein.

Wenn wir lieben können wir anderen diese Erfahrung ermöglichen. Vielleicht ist die ewige Liebe nichts weiter als die Gesamtheit der erfahrenen Liebe in der Welt.

Wie sprechen wir über unser Begehren?

Wir sind uns zunächst nicht einig, was wir mit dem Wort „Begehren“bezeichnen. Es kann unsere sexuellen Wünsche meinen, aber aushandele Wünsche, wie Glück oder ein neues Auto oder nur eine Kugel Schokoladeneis. Wir suchen verschiedene ähnliche Worte, wie „Lust“, „Bedürfnis“, „Begierde“, „Sehnsucht“. Schließlich bleiben wir bei einer gewissen Unbestimmtheit.

Mit Begehren scheinen wir etwas noch nicht Bestimmtes zu bezeichnen, dass wir jedoch für die nahe Zukunft wollen.

Schokoladeneis, Lebensglück, eine*n Partner*in, eine schöne Wohnung. Wir können vieles begehren. Begehren kann spontan sein oder auch langfristig. Begehren strebt immer nach Erfüllung. Jedoch folgt auf die Erfüllung nicht immer das ersehnte Gefühl. Ich kann mein Begehren immer auch körperlich wahrnehmen. Manchmal sogar schmerzhaft oder leidvoll.

Begehren scheint sich stets auch den Körper, die Gefühle, Wahrnehmungen und Empfindungen einzuschließen.

Wenn wir über unser Begehren sprechen, ist es daher oft ein Wunsch oder gar ein Appell, den wir an andere richten. manchmal ist das lustvoll, auch für die andere. Ich fühle mich begehrt, ich begehre und mein Begehren wird erwidert. Manchmal ist es das nicht.

Mein Begehren ist das Begehren der anderen.

Mein Begehren, von anderen begehrt zu werden, kann ich auch auf andere Art befriedigen. Mit dem Besitz oder dem Wunsch nach Objekten, Dingen oder Substanzen kann ich mein Begehren kompensieren. Meist merke ich das jedoch schmerzlich. Ich brauche immer mehr davon. Die Erfüllung meines vorgeblichen Begehrens nutzt sich ab. Eine Wiederholung hilft nicht mehr.

Im Begehren nach Dingen oder Substanzen kann ich mein Begehren begehrt zu werden kurzfristig kompensieren.

Welchen Ausweg gibt es noch? Ich kann mein Begehren in der Schwebe halten. Mich äußern ohne den Appell nach Erfüllung?

Über mein Begehren sprechen ohne dabei die Erwartung auszudrücken, die andere möge mein Begehren erfüllen.

Warum bleibt der Rest nicht still, wenn mensch liebt, den mensch will?

Was empfindest du, wenn dein Sohn dir seinen neuen Mann vorstellt? Wie verhältst du dich, wenn die freundlichen Nachbarinnen dich zu ihrer Hochzeit einladen? Schenkst du dem Kind, dass deine schwulen Freunde adoptiert haben auch einen Kuschelhasen? Was sagst du einer Freundin, die nun dein Freund sein möchte?

Wir haben viel erreicht in der Gesellschaft. Viele Lebensformen und geschlechtliche Identitäten erfahren mittlerweile Anerkennung, gesellschaftlich und juristisch. Und doch zeigt der teils laut und manchmal sogar feindselig ausgetragene gesellschaftliche Diskurs, dass wir noch nicht angekommen sind. Nicht angekommen in einer Gesellschaft, in der Menschen einfach den Menschen lieben, versorgen und das gemeinsame Leben teilen, ohne dass es darüber eines Diskurses bedarf.

Vielleicht haben wir schon immer eines gesellschaftlichen Diskurses bedurft, wenn es um die sexuellen Verhältnisse geht.

Wir fragen uns, warum das so ist.

Wir wollen zum Beispiel uns orientieren, wie wir unserem Nachbarn begegnen. Welche Werte werden gelebt, was wird von mir erwartet, was muss ich erwarten. Eine Vielfalt der sexuellen Verhältnisse kann auch verunsichern. So begegnen wir uns oft mit innerer Anspannung und Vorbehalten.

Der gesellschaftliche Diskurs um die sexuelle Liebe bedeutet für uns die Möglichkeit der Identitätsbildung. Wen und wie ich mensch liebe bedeutet auch immer einen wesentlichen Teil meines Selbstverständnisses. Ohne ein Außen, dass meine sexuelle Identität wahrnimmt und spiegelt, kann ich mein Selbstverhältnis nicht ausleben. Jedoch gibt es auch sehr negative oder ablehnende Bewertungen meiner sexuellen Identität. Diese können mich hindern, zu einem von mir auch wahrhaft empfundenen sexuellen Selbstverhältnis zu gelangen.

Regeln der sexuellen Verhältnisse haben auch stets einen Bezug zu Besitz und Herrschaft. Vor allem, wenn Kinder hinzu kommen, sichert der gesellschaftliche Diskurs Eigentum und Erbschaften. Wir können die jeweiligen gesellschaftlichen Herrschaftsdiskurse kritisieren und einzelne sogar ablehnen. Aber den Diskurs als solches können wir nicht beenden.

Auch braucht es den Diskurs, um Grenzen des Auslebens sexueller Lust festzulegen. Sexuelle Gewalt und sexuelle Ausbeutung wollen wir in der Gesellschaft möglichst unterbinden. Dies steht in Konflikt mit der Freiheit jedes Menschen, Intimes und Privates für sich behalten zu dürfen. Inzwischen ist so manche juristische Grenze verschoben worden, um diesen Konflikt gesellschaftlich zu befrieden.

Aus vielen Gründen ist der gesellschaftliche Diskurs um die sexuellen Verhältnisse der Einzelnen notwendig. Wir können dafür sorgen, dass der Diskurs friedlicher wird und allen Menschen einen angemessenen Raum ermöglicht, einfach mensch zu sein.

Wie lieben wir uns heute und wie werden wir uns in der Zukunft lieben?

Unser Verständnis von Liebe ist nicht zu allen Zeiten das gleiche gewesen. Der Begriff der Liebe ist historisch. Das gibt uns Anlass zu der Frage, wie wir heute die Liebe verstehen.

Es gibt Grund zu der Annahme, dass wir frei sind, die Liebe in Zukunft so zu gestalten, wie wir es wollen.

Wenn wir heute von Liebe sprechen, dann denken wir an ganz unterschiedliche Bereiche, in denen wir lieben: einen Partner, ein Kind, uns selbst, ein Hobby, die Kunst, die Natur… Dabei fällt uns auf, dass wir im eigentlichen Sinne unter „Liebe“ eher die romantische Liebe zu einem Partner/ einer Partnerin verstehen.

In der romantischen Liebe zu einem anderen Menschen bestehen die größten Wünsche nach geliebt sein und das Fehlen wird oft als großer Mangel erfahren. Zugleich besteht hier ein Wunsch nach unbedingter Annahme und Akzeptanz durch den anderen. Selbst einen anderen Menschen zu lieben soll auf der anderen Seite frei und ungezwungen sein.

Der Wunsch nach gleichzeitiger Unbedingtheit und Freiheit der romantischen Liebe führt nicht selten zu Enttäuschungen.

Liebe kann auch als eine Fähigkeit verstanden werden. Grundlagen für die Fähigkeit zu lieben scheinen die Erfahrung geliebt zu sein und eine Liebe zu sich selbst zu sein.

Können wir etwas dazu beitragen, dass wir geliebt werden? Es scheint zumindest wichtig zu sein, dass wir für die Liebe empfänglich sind und und vertrauensvoll auf andere Menschen einlassen mögen.

Für die Zukunft wünschen wir uns mehr Freiheit in der Liebe und weniger dogmatische Vorschriften.

Die Liebe sollte frei sein von kulturellen oder sozialen Erwartungen.