Ist Anpassung eine Not oder eine Tugend?

Sie begegnet uns ständig und scheinbar überall: die Not oder Pflicht zur Anpassung. Noch ehe wir richtig gelernt haben selbst zu denken, haben wir uns an die verschiedensten Umstände anpassen gelernt. Vielleicht daher auch die unbedingte und explosive Geste der Jugend, sich um keinen Preis anpassen zu wollen.

Als Preis für die Anpassung, die uns teilhaben lässt, scheinen wir uns selbst zu verlieren.

Sind wir nothaft in diesem Dilemma gefangen, entweder uns selbst gerecht zu werden oder den anderen? Zunächst einmal lernen wir mit dieser Spannung umzugehen. Als Kinder, als Heranwachsende, ständig weiter als Erwachsene. Wir suchen uns Beziehungspartner und alltägliche Umgebung oder Arbeit, die zu uns selbst zu passen scheint.

Wir entwickeln unsere Fähigkeit, uns selbst zu realisieren als eine Reaktion auf die Anpassung an unsere Umwelt.

In vielerlei Hinsicht ist unser Selbstverständnis auf Anpassung begründet. Gesellschaftlich, moralisch, individuell. Gesellschaftlich grenzen wir unsere eigenen Werte von denen anderer Menschen ab oder verbinden uns als Wertegemeinschaft. Moralisch nutzen wir den Prozess der Anpassung als Gradmesser für unsere Lebensgestaltung. Wäre alles möglich, könnten wir alles mögliche angemessen empfinden. Individuell gehen wir in Anpassung, um Zuwendung zu erlangen und wir verweigern eine Anpassung, um Anerkennung zu erlangen.

Unser Verständnis des ich ist nicht durch Anpassung gefährdet, sondern entsteht erst durch die Not der Anpassung als eine konstruktive Geste der Person, die damit „ich“ begründet.

Ist es da überhaupt eine Tugend zu nennen, sich anzupassen. Sicher scheint es immer wieder überindividuell geboten, bestimmten Regeln zu folgen. Auch natürlich individuell existenziell. Jedoch wird deutlich, dass es keinen Widerspruch darstellt, wenn Anpassung zugleich eine Not und eine Tugend ist oder keins von beiden. Vielmehr wird eher einmal eine Tugend als eine Not zur Anpassung verstanden oder auch zur Nicht-Anpassung.

Weder Anpassung noch Nicht-Anpassung stehen dem ich entgegen. Sie konstruieren es.

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